Vom Berliner Marstall über Charlottenburg nach Spandau

„Charlottenburg und die Festung Spandau wurden dem Bruder zuliebe besucht, der alle zwei Jahre dort in Garnison stand. Diese Reisewanderungen begannen gewöhnlich sonntags in erster Morgenfrühe.“ (Karl Gutzkow: Aus der Knabenzeit, 1. Auflage, 1852)

Gutzkow schildert in seinen Lebenserinnerungen (S. 83-86) den einzuschlagenden Weg anschaulich: „Diese Reisewanderungen begannen gewöhnlich sonntags in erster Morgenfrühe. Grau und leichenhaft lag noch die scheidende Nachtdämmerung auf allen Straßen; … durch den grünen Kastanienwald der Universität schimmerte ein lichter Streifen, der purpurrotgelbe Herold der Sonne. - Unter den Linden, in den Palästen der Vornehmen lag alles noch im tiefsten Schlummer, selbst diejenigen Läden, die sich am ersten zu öffnen pflegen, die der Bäcker, waren noch geschlossen. - Im Tiergarten zwitscherte es von allen Zweigen. - Durch die Säulen des Brandenburger Tores mehrte sich die Glut der erwachenden Sonne. - Der Tiergarten, wildverworren, sumpfigüppig, wurde noch von einem Herrn Fintelmann, nicht dem Parkologen Lenné beherrscht. - Rechts hatte man den Blick nach dem Schloß Bellevue - Nun kam das freundliche »Rondell«, das mit einigen finger- und nasenlosen Sandsteinfiguren geziert war und vom Volke »die Puppen« (hochdeutsch: »die Pupsen«) genannt wurde. - Endlich war der Schlagbaum der Wegegeldabgabe erreicht. - Schon blitzten inzwischen die Sonnenstrahlen mit voller Kraft und vergoldeten Charlottenburg, wo sich bereits Leben zeigte. Rüstete sich doch der fast ganz aus einstöckigen Häusern bestehende Ort, in seinen Wirtschaften und Tanzböden die Gäste der großen Residenz zu empfangen. - Vorräte für Spandau werden vom noch heißen Brett gekauft! Wie knisterte das warme gelbe Brot! Wie wird die Ware von Charlottenburg gerühmt, verglichen mit Berlins so »elender«! - Das stolze Schloß zur Rechten mit seinem grünen Kupferdach und der goldenen Krone unterbricht von Schlüter und Eosander von Göthe gemeinschaftlich erbaut, obschon sie sich haßten. - Immer vorwärts und immer zu Fuß! Zwei Meilen hin und zwei Meilen am Abend zurück! - Es geht den Sandberg hinauf, der jetzt als »Westend« für die Berliner ein Paradies geworden ist, wenigstens in den Prospekten der Aktienbaugesellschaften. Damals existierte noch nicht einmal die Chaussee. - Die mühselige Wanderung über diese sandige Steppe, diese dünngesäten Kornfelder, diese unabsehbaren Kartoffeln! - Hier, wo sich der Buchhändler Schaefer, geadelt als Herr »von Schäfer-Voit«, von den Erträgnissen seines Modejournals »Bazar« eine Villa erbaut hat. - Vom »Spandauer Bock« ging der Weg abwärts und bot in den sich senkenden Baumgruppen, durch welche die Sonnenlichter, die grünen Wiesen, die Wogen des Flusses und schon die Türme Spandaus mit ihren goldenen Zifferblättern blitzten, einen malerischen Anblick. - Rechts lag die wasserumgürtete, uralte, von Italienern, unter Leitung des florentinischen Grafen Lynar, erbaute Festung mit der schwarzweißen Fahne. Der Fluß, malerisch umkränzt vom dunklen Grün der Jungfernheide, belebte sich mit kleinen Booten. - Der Vater … wünschte dem Brückenmeister einen frisch aus Berlin gekommenen guten Morgen, und wir waren in Spandau.“

Das Bild rechts oben zeigt Spandau mit der Festung - Giuseppe Pietro Bagetti – 1806.

Bild oben: Schloss Charlottenburg Stadtseite - unbekannt - ohne Jahr.